O Haupt voll Blut und Wunden ist ein Kirchenlied von Paul Gerhardt (1607–1676) mit einer – ursprünglich weltlichen – Melodie von Hans Leo Haßler.

Entstehung

Der evangelische Kirchenlieddichter Paul Gerhardt übersetzte den lateinischen Hymnus Salve caput cruentatum 1656, im letzten Jahr seiner Amtszeit als Propst in Mittenwalde, ins Deutsche. Zu Gerhardts Zeit und noch lange danach wurde Bernhard von Clairvaux (um 1090–1153) als Erstautor des Hymnus angesehen, heute wird er Arnulf von Löwen (1200–1250) zugeschrieben. Es ist der abschließende Teil eines unter dem Titel Oratio Rhythmica überlieferten Zyklus von sieben Meditationen zu den Gliedmaßen des Gekreuzigten (siehe auch Membra Jesu nostri), den Gerhardt vollständig nachdichtete.

Die Melodie im phrygischen Modus ist eine rhythmisch vereinfachte Fassung des Liebeslieds Mein G’müt ist mir verwirret von Hans Leo Haßler (1564–1612), das erstmals 1601 in Haßlers Lustgarten neuer teutscher Gesäng erschien. Bereits 1613 war diese Melodie im Liederbuch Harmoniae sacrae dem 1599 entstandenen Text von Christoph Knoll (1563–1621) Herzlich tut mich verlangen nach einem sel’gen End zugeordnet worden. Zu Gerhardts Zeit war es mit diesem Text in den lutherischen Gemeinden bekannt.

Rezeption

Einzelne Strophen des Chorals wurden von Johann Sebastian Bach (1685–1750) in der Matthäuspassion (BWV 244) verwendet, wobei Bach die Auswahl und Reihenfolge der verwendeten Strophen selbst traf und nicht seinem Textdichter Picander (1700–1764) überließ. Bach verwendete seine sechste Strophe auch in der Kantate Sehet! Wir gehn hinauf gen Jerusalem (BWV 159), die die Ankündigung der Passion behandelt. Die Melodie erscheint außerdem in Bachs Weihnachtsoratorium zu Paul Gerhardts Text Wie soll ich dich empfangen, dem ersten Choral in Teil I (Nr. 5) und zu Nun seid ihr wohl gerochen, dem Schlusschor von Teil VI.

In das Evangelische Gesangbuch wurde das Werk als Nr. 85, in das katholische Gotteslob als Nr. 289 (ohne Originalstrophen 5 und 7) und in das Mennonitische Gesangbuch als Nr. 291 aufgenommen. Mit zwei Melodieformen wurde es auch unter der Nr. 206 und 207 in das Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche jeweils in einem vierstimmigen Chorsatz nach Johann Hermann Schein aufgenommen. Die erste Aufnahme in ein katholisches Gesangbuch fand das Lied bereits 30 Jahre nach Gerhardts Tod.

Felix Mendelssohn Bartholdy komponierte 1830 eine Kirchenkantate für Soli, Chor und Orchester über O Haupt voll Blut und Wunden. Weitere Bearbeitungen liegen von Johann Pachelbel, Johann Gottfried Walther, Georg Philipp Telemann, Franz Liszt, Friedrich Silcher, Rudolph Palme, Max Reger, Joseph Gabriel Rheinberger, Johann Nepomuk David, Josef Friedrich Doppelbauer, und Rupert Gottfried Frieberger und vielen weiteren Komponisten vor. Insbesondere Orgelbearbeitungen liegen in großer Zahl vor.

Verwendet wurde die Melodie außer in der historischen Kunstmusik u. a. um 1960 von Peter, Paul & Mary mit dem Dave-Brubeck-Trio (Because all men are brothers auf der LP Summit Sessions), 1973 von Paul Simon für seinen Song American Tune, 1995 von Hannes Wader für den Song Tagtraum auf seinem Album 10 Lieder, 1999 von der Berliner Band Knorkator für das Lied Weihnachtsschimpfe (im Album Hasenchartbreaker), 2006 von Dieter Falk (im Album A tribute to Paul Gerhardt) und 2012 vom kanadischen Songwriter John K. Samson in seinem Song Stop Error.

Text

Übersetzung

Catherine Winkworth übersetzte das Lied 1861 unter dem Titel Ah wounded Head! Must Thou ins Englische.

Literatur

  • Elke Axmacher, Matthias Schneider: 85 – O Haupt voll Blut und Wunden. In: Gerhard Hahn, Jürgen Henkys (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Band 10. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 3-525-50333-4, S. 40–52. 
  • Marlies Lehnertz: Vom hochmittelalterlichen katholischen Hymnus zum barocken evangelischen Kirchenlied. Paul Gerhardts „O Haupt voll Blut und Wunden“ und seine lateinische Vorlage, das „Salve caput cruentatum“ Arnulfs von Löwen. In: Hansjakob Becker, Reiner Kaczynski (Hrsg.): Liturgie und Dichtung. Ein interdisziplinäres Kompendium. Band 1: Historische Präsentation. EOS, St. Ottilien 1983, ISBN 3-88096-281-2, (Pietas Liturgica 1), S. 755–773.
  • Hansjakob Becker et al.: Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder. 2. Auflage. Beck, München 2003, ISBN 3-406-48094-2, S. 275–290.
  • Klaus Schneider: Lexikon „Musik über Musik“. Bärenreiter, Kassel 2004, ISBN 3-7618-1675-8.

Weblinks

  • Meinrad Walter: Jesu Leid im Lied
  • Lateinischer Text der sieben Meditationen der Oratio rhythmica nach der Ausgabe der Patrologia Latina bei Bibliotheca Augustana.
  • Noten der Version von Hassler lieder-archiv.de
  • Noten der Version von Bach (Matthäuspassion) Cantorion
  • O Haupt voll Blut und Wunden bach-cantatas.com, Text deutsch – englisch – lateinisch, Verwendung in Bachs Werken.
  • Ulrich Grober: O Haupt voll Blut und Wunden – An den Quellen von Paul Gerhardts Passionslied. (mp3-Audio; 27,2 MB; 29:45 Minuten) In: Radio Berln-Brandenburg. 2005; abgerufen am 3. Juni 2022. 

Einzelnachweise


O Haupt voll Blut und Wunden DIVERTIMENTO Musikverlag

»O Haupt voll Blut und Wunden« Osterfestspiele Schloss Rheinsberg

O Haupt voll Blut und Wunden (Max Reger) » Noten für Ensemble

O Haupt voll Blut und Wunden — Hymnology Archive

Liedtext O Haupt Voll Blut Und Wunden Liedtexte